Zum 105. Geburtstag von Georgi Swiridow

12/16/2020 - 13:30

Einhundertfünf Jahre ist kein Jubiläum. Aber der 105. Geburtstag Georgi Swiridows, der am 16. Dezember gefeiert wäre, ist eine Gelegenheit, sich an den großen russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts zu erinnern, dessen größte Teil des Lebens auf die Sowjetzeit fiel.

Swiridow wurde 1915 in Fatezh, Gouvernement Kursk, als Sohn eines Postangestellten und einer Lehrerin geboren, beide stammten aus der Bauernklasse. Die Leidenschaft für Musik und systematische musikalische Ausbildung vereinten sich in seinem Leben mit der Tatsache, dass seine Kindheit und Jugend von einer lebendigen, noch nicht zerstörten Volks- und Kirchengesangskultur umgeben waren. Die Folklore und geistige Melodik, die seinem großen musikalischen Talent entsprechend erhöht und mit feiner Kompositionstechnik angereichert wurden, trug Swiridow durch sein ganzes Schaffen hindurch.

Am Leningrader Konservatorium studierte er bei einem anderen russischen Musikgenie des 20. Jahrhunderts, Dmitri Schostakowitsch, und spürte zunächst dessen starken Einfluss. Doch dann befreite er sich von diesem Einfluss, schuf einen zutiefst individuellen Stil und probierte seinen eigenen Weg in der Musik aus. Viele haben ihm dies nicht vergeben.

Swiridow schrieb hervorragende Instrumentalwerke. Doch das Wichtigste, was sein Werk auszeichnet, ist die Hinwendung an die menschliche Stimme und das poetische Wort, sowohl in den solo Werken als auch vor allem in den Chören, Kantaten und Oratorien. Heute ist es schwer vorstellbar, dass seine klassischen Romanzen zu Puschkins Gedichten "Auf dem Weg nach Izhory" oder "Der Wald lässt sein purpurrotes Gewand fallen" von einem Komponisten geschrieben wurden, der noch keine 20 Jahre alt war. Und sein "Poem - Andacht an Sergej Jessenin" (1956), das "Oratorio Pathetique" zu den Gedichten von Wladimir Majakowski (1959) und die "Kursker Lieder" (1964) wurden zu echten Meilensteinen in der russischen Musik. Es gibt auch solche Werke, die wirklich jedem Russen bekannt sind - es genügt, die musikalischen Illustrationen zu Puschkins Novelle "Der Schneesturm" oder das Thema "Zeit Vorwärts" zu erwähnen, mit dem seit mehr als 50 Jahren die Hauptnachrichtensendung im sowjetischen und danach russischen Fernsehen beginnt.

Das Leben und der Schaffensweg des Komponisten waren nicht einfach.  Er zeichnete sich durch eine besondere Sicht auf gesellschaftliche Prozesse aus.   "Ich bin sehr einsam. Im musikalischen Leben riecht es nach Hundekot, Mafia, Intrigen. ... Man beneidet mich, ich werde weder gemocht noch verstanden", schrieb er über die ihn umgebende Wirklichkeit. Als eine vielseitige Persönlichkeit rief Swiridow dazu auf, die snobistische Einstellung zur Musik aufzugeben:  "Aber auch die moderne Musik, sogar eine schlechte, für viele von uns unangenehme, die sogar primitive im schlimmsten Sinne des Wortes spiegelt dennoch die Zeit und deren Egoismus, deren Leidenschaften, den Atheismus und die Bewegung zum Ende der Welt hin wider. Und deshalb ist sie, diese Musik, der Aufmerksamkeit und Forschung würdig“. 

Aufgrund seiner engen Verbindung mit dem poetischen Wort und dem tiefen nationalen Wesen ist Swiridows Musik außerhalb Russlands nicht sehr bekannt. Laut dem Konzertarchiv des österreichischen Musikvereins waren jedoch einige Werke Swiridows seit 1973 in diesem Saal zu hören, vor allem aber symphonische. In den 80er und 90er Jahren wurde Swiridow in Österreich und anderen Ländern Europas vom herausragenden Bass Jewgeni Nesterenko mehrfach interpretiert. Er arbeitete viel mit Swiridow und lebt seit einigen Jahren in Wien.  Darüber schreibt er in seinem Buch „Aufzeichnungen eines russischen Basses“, das ausführliche Erzählungen über die Begegnungen mit dem Komponisten enthält. Auch Dmitri Hvorostovsky – der letzte unter den Sängern, dem Swiridow persönlich seine Werke anvertraute - sang Swiridows Romanzen in Wien.  Wichtig ist aber auch, dass seine Musik in den letzten Jahren in Österreich von denen aufgeführt wird, die sie nicht als etwas wahrnehmen, das ihnen vom Komponisten in die Hände übergeben wurde, sondern als reine Klassik.  Vor zwei Jahren nahm die herausragende Opernsängerin unserer Tage Krassimira Stoyanova Swiridows Romanzen in ihren Soloabend auf der Bühne der Wiener Staatsoper auf, und der ukrainische Bariton Andrey Bondarenko sang im Konzerthaus den Zyklus "Die fortgedriftete Rus" zu Jessenins Gedichten.

Swiridow erklang auch im Russischen Kulturinstitut in Wien - in unseren Konzerten wurden Swiridows Romanzen von Elena Belkina und Igor Onischtschenko aufgeführt, und einer von Swiridows Chören gehört zum ständigen Repertoire des Wiener Russischen Chors am RKI.

Nesterenko, der Swiridow überzeugt als das letzte Genie der russischen Musik bezeichnet, zitiert die wunderbaren Worte des Komponisten, die dieser dem Sänger sagte: "Wenn ich Freunde meiner Musik - den besten Teil von meiner selbst sehe (ich selbst bin viel schlechter als meine Musik) fällt mir das Leben leichter."

Es ist erfreulich zu erkennen, dass heute, fast 23 Jahre nach dem Tod des Komponisten, der Freundeskreis seiner Musik nur wächst.

Wir laden Sie ein, sich „Das russische Lied“ von Swiridow, interpretiert durch Freunde des Russischen Kulturinstituts in Wien, Preisträger internationaler Wettbewerbe Ilona Revolskaya und Alexander Panfilov anzuhören. Sie fanden Zeit zwischen den Proben und Dreharbeiten am Theater an der Wien und dem Linzer Opernhaus, um anlässlich des Geburtstages von Georgi Wassiljewitsch Swiridow im Konzertsaal des RKI dieses Lied aufzunehmen.