Online-Ausstellung „SAISONS RUSSES“. Zum 150. Jahrestag von Sergej Diaghliew

03/22/2022 - 02:30

Dr. Edith Jachimowicz

Die „Saisons Russes“ des Sergej Diaghilew waren weit mehr als Kreationen, die der Neugier und Sensationslust der Pariser Belle Epoche Stoff lieferten. Mit ihnen einher ging eine veritable Revolution in der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts: eine Synergie von neuen Stilen, an der bildende Künstler, Komponisten und Choreographen zusammenarbeiteten, einander gegenseitig herausforderten, sich aneinander rieben und so aufregend Neues schufen.

In der Theaterkunst, insbesondere dem Ballett wurden bewährte Kanons auf den Kopf gestellt. Diese Entwicklungen brachen mit derartiger Vehemenz herein, dass nicht nur die Seine-Metropole davon erfasst wurde. Die neuen Strömungen bereiteten sich wellenartig über ganz Europa bis nach Nord- und Südamerika aus. Auslöser war eine einzige Person: Sergej Pawlowitsch Diaghilew.

Geboren 31. (17.) März 1872 in einer Garnison im Gouvernement Novgorod – sein Vater war Gardeoffizier. Hochgebildet, musikalisch, weitgereist und beseelt von dem Wunsch, die Kunst Rußlands seinen Mitmenschen nahezubringen, aber auch das europäische Ausland damit bekannt zu machen. Mit Gleichgesinnten aus St.Petersburger Universitätsjahren, u.a. Aleksandr Benois, Valentin Serov, Nikolaj Tscherepnin, Lew Bakst, Nikolaj Roerich gründete er die Vereinigung „Mir Isskustwo“, veranstaltete laufend Ausstellungen. Darüber hinaus gründete er 1899 eine Kunstzeitschrift gleichen Namens. Sie erschien bis 1905, als sie wegen fehlender Subventionen infolge des Russisch-japanischen Kriegs eingestellt werden musste. Probleme mit den erzkonservativen kaiserlichen Behörden, Intrigen, schließlich Verlust der Unterstützung durch Zar Nikolaj II. veranlassten Diaghilew, seine Pläne in Paris zu realisieren: Die „Saisons Russes“ mit dem Ballett als neuer Hauptattraktion wurden geboren, anfangs noch zusammen mit Ausschnitten aus russischen Opern von Mussorgskij und Rimskij-Korsakov, wo Fjodor Schaljapin als Zugpferd diente.

Am 19. Mai 1909 hob sich in Téatre Chatelet nach manchen Hindernissen erstmals der Vorhang zu „Le Pavillon d‘Armide“ (Musik Tscherepnin, Ausstattung Benois, Choreographie Michail Fokine). Die erste Saison mit insgesamt 3 Balletten (zusätzlich „Cléopatre“ und „Les Sylphides“) wurde ein Riesenerfolg, finanziell für Diaghilew ein Desaster, was sich fortsetzen sollte. Die folgenden Pariser Saisonen brachten erste neue Kreationen wie „Der Feuervogel“ und „Petruschka“ mit der Musik des neuengagierten blutjungen Rimskij-Schülers Igor Stravinsky, die Ballette des Stars der Truppe Wazlaw Nijinsky: „L‘après-midi d‘une faune“ (Musik Debussy) und der größte Theaterskandal „Le sacre du Printemps“ (1913, Musik Stravinsky).

Diaghilew versammelte in seiner Truppe die größten Stars des russischen Balletts. Michail Fokine, Wazlaw Nijinsky, Adolf Bolm, Matilda Kschessinska, Tamara Karsavina, Anna Pavlova, Ida Rubinstein… Der 1. Weltkrieg brachte 1914 eine abrupte Zäsur für Diaghilews Unternehmungen. 1915 gelang es ihm in Monte Carlo eine Compagnie zusammenzustellen, um nach Übersee zu gehen, vorerst ohne Nijinsky, der wegen seiner Verheiratung gefeuert worden war, für die Nordamerika-Tourneen aber wieder zurückkehrte. Bis Ende des Kriegs zog die Truppe durch größere und kleinere Städte in Spanien und Portugal, immer dort, wo noch keine Kampfhandlungen stattfanden.

Nach Ende des Kriegs waren Diaghilew, Stravinsky und etliche der Tänzer staatenlos. Dem Impresario gelang es trotzdem, seine Ballets Russes neu zu organisieren und sie auf Tourneen zu schicken, inzwischen mit etlichen neuen Namen wie Leonide Massine (Mjasin), Lidia Sokolova, Lidia Lopuchova, Anton Dolin, Vera Nikitina und anderen. Er gab laufend neue Ballette in Auftrag, bei spanischen und französischen Komponisten (de Falla, die Gruppe „Les Six“ u.a.). Jean Cocteau, Coco Chanel, Pablo Picasso leisteten ihre Beiträge. Massine, der noch vor dem Krieg in „Josephslegende“ von Richard Strauss brilliert hatte, war nun der Star, bis er von Sergej Lifar abgelöst wurde. Der letzte Zugang zur Truppe war Georges Balanchine.

Dann das Jahr 1929: Wieder gastierte die Truppe in halb Europa. Im Sommer gönnte sich Diaghilew einen kurzen Urlaub in seinem geliebten Venedig. Es ging ihm nicht gut, doch arbeitete er fieberhaft an Plänen für die nächste Saison. Bald verschlimmerte sich sein Zustand, er bekam rasend hohes Fieber und verfiel rasch. Er starb am Morgen des 18. August. Es war ein Schock für die gesamte Ballettwelt. Die Truppe zerfiel, es formierten sich diverse neue Gruppen, die zumindest den Namen „Ballets Russes“ weitertrugen. Diaghilews Werk lebt bis heute weiter, die wichtigsten seiner Schöpfungen haben die Jahrzehnte überdauert, werden im Geiste des Meisters neuinterpretiert und sind Glanzpunkte des Konzertrepertoires.